Ich verlasse dich wenn


„Ich verlasse dich, wenn … – Warum wir drohen, obwohl wir bleiben“

Warum Drohungen in Beziehungen meist nicht das sind, was sie scheinen

Einleitung

„Wenn du mich noch einmal so behandelst, dann verlasse ich dich.“

Solche Sätze klingen nach Entschlossenheit, nach Konsequenz, vielleicht sogar nach Selbstschutz. Doch in Wirklichkeit sind sie oft Ausdruck von etwas ganz anderem: Ohnmacht, Angst, Hilflosigkeit. Und manchmal sogar ein verkleidetes Betteln um Liebe.

In diesem Beitrag möchte ich tiefer blicken. Zurück in die Kindheit, hinein in die Dynamik von Partnerschaften und mitten in die Widersprüche, die entstehen, wenn Herz und Kopf nicht dieselbe Sprache sprechen.


Wenn-dann-Drohungen: Ein Echo aus der Kindheit?

Viele von uns kennen diese Form der Erziehung: „Wenn du das nochmal machst, bekommst du Hausarrest.“ Damals wie heute wird so versucht, Verhalten zu steuern. Doch Verhaltensänderung durch Drohung fühlt sich nie echt an. Sie erzeugt Angst, keine Einsicht. Sie führt zu kurzfristigem Meiden – nicht zu langfristigem Verstehen.

Und genau das passiert auch in der Beziehung zwischen Erwachsenen.

Meine persönliche Erfahrung dazu:

Als Kind hatte ich oft Hausarrest – sogar für den harmlosen Ausspruch „Das ist aber geil“ musste ich in den 70er Jahren tagelang in meinem Zimmer bleiben. Nie gab es eine Erklärung, warum etwas angeblich „falsch“ war. Es wurde einfach ausgesessen – auf beiden Seiten. Und geschwiegen. Kein Dialog, keine Klärung, keine Entwicklung. Nur Druck und Schweigen. Dieses Muster trug ich lange unbewusst in mir weiter.


Ohnmacht in Beziehungen: Der wahre Kern hinter der Drohung

Wenn jemand sagt: „Wenn du mich noch einmal beschimpfst, verlasse ich dich“, dann steckt dahinter oft nicht die Kraft, wirklich zu gehen, sondern die Sehnsucht, endlich gesehen zu werden. Es ist nicht selten ein „Schrei mit Maske“. Ein Versuch, durch Druck das zu bekommen, was man durch Offenheit nicht mehr zu erreichen glaubt: Respekt, Liebe, Anerkennung.

Doch wer droht, hat oft keine echte Konsequenz vorbereitet. Und das spürt auch das Gegenüber. Es entsteht ein Kreislauf aus Enttäuschung und Wiederholung, aus Erwartung und Ernüchterung.

Man muss sich bewusst machen: Echten Respekt, Liebe und Anerkennung erhält man niemals durch Drohungen. Wenn nach einer Drohung scheinbar wieder Nähe und Zuwendung entstehen, belügt man sich wie mit einem Bumerang selbst – denn früher oder später trifft einen diese Selbsttäuschung mit voller Wucht.

Wer beschimpft wurde, hat bereits zuvor jede Achtung und jeden Respekt verloren. Ich weiß, das klingt hart – aber in meinen Augen ist es so. Denn da ist schon im Vorfeld vieles schiefgelaufen.

Und auch wenn man selbst nicht droht, sondern es nur im Umfeld erlebt: Man sieht, wie viele Menschen bleiben – obwohl sie innerlich längst gegangen sind. Vielleicht, weil sie viel investiert haben – in Haus, Kinder, Hof. Vielleicht, weil sie nicht alleine sein können oder wollen. Weil sie sich ihrem „Schicksal“ ergeben.

Doch meine Erfahrung zeigt: Wenn das sprichwörtliche Kind in den Brunnen gefallen ist, kann man es nur selten lebendig wieder herausholen – bildlich gesprochen. Denn oft erkennen wir die ersten Anzeichen nicht – egal, ob wir sie verursachen oder ertragen. Wir handeln aus unseren frühen Prägungen heraus, die uns „normal“ erscheinen. Doch was für uns normal ist, kann für unser Gegenüber verletzend sein – weil auch er seine Prägungen aus der Kindheit mitbringt.


Verhalten ändert sich nicht durch Angst – sondern durch innere Erkenntnis

Als Kind habe ich manche Dinge nicht mehr getan, um die Strafe zu vermeiden – nicht, weil ich das Verhalten wirklich reflektiert hatte. Und heute? Genau das sehe ich auch in Beziehungen.

Wenn ich meinen Partner nur noch durch „Wenn-dann“-Sätze kontrolliere, dann ist das keine Kommunikation mehr, sondern ein Machtspiel. Es geht nicht um Dialog, sondern um Druck. Und Druck erzeugt Gegendruck.

Verhalten kann sich langfristig nur durch Verständnis verändern. Und Verständnis braucht Raum. Raum für Worte, Raum für Zuhören, Raum für Gefühle. Doch diesen Raum geben wir uns und anderen oft nicht – aus Zeitdruck, aus Angst, aus alten Mustern. Wer aus der Haut fährt, ist innerlich oft schon längst erschöpft. Wer schweigt, hat vielleicht längst resigniert. Beides ist verständlich. Aber es ist nicht hilfreich.


Die Wahrheit ist: Ich kann niemanden zur Veränderung zwingen

Ja, Menschen können sich ändern – aber nur, wenn sie es wirklich wollen. Alles andere ist Maskenspiel. Veränderung aus Angst hält nicht lange. Die wahren Gründe bleiben im Verborgenen, werden unter den Teppich gekehrt. Und irgendwann kommen sie zurück. Meist dann, wenn wir es am wenigsten brauchen.


Konflikte brauchen Ehrlichkeit. Auch über den eigenen Anteil.

Zu jedem Streit gehören zwei. Und auch wenn es weh tut: Es ist selten nur das Gegenüber, das sich ändern muss.

Manchmal bringt mein Verhalten den anderen „auf die Palme“. Dann darf ich mich fragen: Wo habe ich ihn nicht gehört? Wo war ich selbst unehrlich, ausweichend oder verletzend?

Wie würde es mir gehen, wenn nicht ich der „Täter“ bin, sondern das „Opfer“? Zum Beispiel: Ich rede auf einer Veranstaltung gerne und viel, nehme Raum ein – mein Partner ist dabei für mich unsichtbar. Möchte ich selbst auch so übersehen werden? Mich so fühlen, als würde ich keine Rolle spielen? Schau in den Spiegel. Vielleicht beginnt genau hier das Verständnis füreinander.

Das ist kein Schuldeingeständnis, sondern ein Schritt in die Verantwortung. In die Klarheit. Und vor allem in die Selbstwirksamkeit.

Und auch bei einem so tiefen Vertrauensbruch wie dem Fremdgehen gilt: Beide Partner müssen sich verändern – denn es ist niemals einseitig. Wenn der Fremdgänger weiterhin schaut, wo das Gras grüner ist, und sich die andere Person „warmhält“, ist das ebenso kontraproduktiv wie wenn die betrogene Person weitermacht wie zuvor. Es sind immer beide, die einen Anteil daran haben. Zum Beispiel: Der eine wurde nicht mehr gesehen – und der andere fühlte sich übersehen.


Auch im Umgang mit unseren Kindern: Drohen wir aus Überforderung?

Wie oft ertappen wir uns selbst im Alltag dabei, unseren Kindern mit einem „Wenn du das noch einmal machst …“ zu begegnen? Nicht aus Bosheit, sondern aus Überforderung. Wir sind müde, überlastet, vielleicht sogar ratlos. Und dann greifen wir zum Zeigefinger.

Doch unsere Kinder brauchen keine perfekten Eltern. Sie brauchen ehrliche, mitfühlende Menschen, die sich auch mal entschuldigen können. Die sagen: „Es tut mir leid, ich war gerade überfordert.“

Gerade hier lohnt sich der Blick auf unsere Muster. Denn oft behandeln wir unsere Kinder so, wie wir als Kind behandelt wurden – ohne es zu merken. Doch unsere Kinder sind nicht wir. Sie brauchen keine Drohungen, sondern Verbindung. Kein „Wenn-dann“, sondern ein „Ich sehe dich.“


Drohungen sind oft ein verkleidetes Betteln um Liebe

Was mir erst später bewusst wurde: Viele „Wenn-dann“-Sätze in Beziehungen sind keine Grenzen, sondern Hilfeschreie.

„Wenn du mich nochmal so behandelst, verlasse ich dich“ heißt oft: „Ich will endlich gesehen werden. Ich halte es nicht mehr aus.“

Wir drohen, weil wir den Mut zur echten Offenheit verloren haben. Weil wir Angst haben, unser Innerstes zu zeigen:

„Ich fühle mich allein.“
„Ich sehne mich nach deiner Nähe.“
„Ich habe Angst, nicht mehr wichtig zu sein.“

Doch genau das ist es, was wir brauchen. Nicht Lautstärke. Sondern Echtheit.


Fremdgehen: Der Vertrauensbruch beginnt oft viel früher

„Wenn du fremdgehst, ist alles aus!“

Klingt logisch. Ist aber zu spät.

Denn Fremdgehen passiert selten aus heiterem Himmel. Es beginnt meist viel früher:

  • mit nicht ausgesprochenen Bedürfnissen,
  • mit Schweigen,
  • mit innerem Rückzug,
  • mit kleinen Lügen, die wir uns selbst erzählen.

Wie oft bist du dir selbst fremd geworden?
Hast dich angepasst, geschwiegen, resigniert?
Wie oft hast du dich selbst betrogen, bevor du betrogen wurdest?

Robert Betz formulierte es treffend:

„Wie oft hast du dich selbst betrogen? Bist dir fremd geworden?“


Selbstbetrug statt Entscheidung: Wenn-dann-Sätze als Ausrede

Diese „Wenn-dann“-Sätze können auch Ausdruck von Bequemlichkeit sein. Von Angst vor Konsequenzen. Von fehlendem Plan.

Denn wer klar ist, braucht keine Drohung. Der handelt.

Wer droht, bleibt häufig, obwohl er innerlich schon gegangen ist. Und nennt das dann Schicksal. Dabei ist es oft Selbstverleugnung.

Wenn ich diese Sätze benutze, fehlt mir meist auch die Vorstellung von Alternativen. Ich bin mir nicht im Klaren, was ich wirklich will – nehme es einfach hin und nenne es „so ist das Leben“. Doch das ist keine Wahrheit. Es ist Selbstbetrug.


Lügen fangen nicht bei Worten an, sondern bei fehlender Ehrlichkeit mit sich selbst

Viele sagen: „Ich bin ehrlich. Ich mag keine Lügen.“ Aber unehrlich zu sein heißt nicht nur, andere anzulügen – sondern auch, sich selbst etwas vorzumachen:

  • Ich bleibe, obwohl ich längst unglücklich bin.
  • Ich rede von Grenzen, ziehe aber keine.
  • Ich spreche von Ehrlichkeit, habe aber nie klar gesagt, was ich brauche.
  • Ich handele weiter so wie vor dem Konflikt sage es aber nicht.


Studien zum Thema Fremdgehen: Wie viele schaffen den Neuanfang?

  • Rund 60–75 % der Paare überstehen eine Affäre mit professioneller Hilfe (z. B. Paartherapie).
  • Ohne Begleitung schaffen es nur etwa 47 %.
  • Bleibt der Betrug geheim, halten nur 20 % der Paare die folgenden 5 Jahre durch.
  • Bei Offenheit und Verarbeitung steigt die Rate auf 57 %.

Doch auch, wenn Paare zusammenbleiben: Der Schmerz bleibt oft spürbar. Vertrauen braucht Zeit – und radikale Ehrlichkeit.


Fazit: Raus aus der Wenn-dann-Falle, rein in die Klarheit

Wenn du dich dabei erwischst, „Wenn-dann“-Sätze zu sagen, frage dich:

  • Was wünsche ich mir wirklich?
  • Welche Grenze will ich wirklich ziehen?
  • Habe ich den Mut, meinem Gegenüber ehrlich zu sagen, was ich fühle?
  • Was ist mein Anteil am Streit, am Fremdgehen, am Konflikt mit meinen Kindern?
  • Und noch wichtiger: Bin ich bereit, mit mir selbst ehrlich zu sein?

Denn wahre Veränderung beginnt nicht beim anderen. Sondern bei dir.

Und vielleicht braucht es keinen „Wenn-dann“-Satz mehr. Sondern ein leises, klares:

„Ich habe mich entschieden.“

Ich schreibe diesen Beitrag nicht aus der Perspektive einer Therapeutin, sondern als Mensch mit Geschichte. Als jemand, der viele Jahre mit alten Mustern lebte, ohne es zu bemerken – und sich dann auf den Weg gemacht hat, sie zu erkennen und zu hinterfragen.

Lange glaubte ich, stark sein bedeute, durchzuhalten, zu schweigen, mich anzupassen. Doch wahre Stärke, das habe ich erst viel später verstanden, liegt in der Ehrlichkeit – vor allem mit mir selbst.

Ich schreibe, weil ich erlebt habe, wie befreiend es ist, sich nicht länger selbst zu belügen. Und weil ich glaube, dass wir alle die Fähigkeit zur Veränderung in uns tragen. Nicht, weil uns jemand droht. Sondern weil wir beginnen, uns selbst zuzuhören.

Ich lade dich nicht ein, alles wie ich zu machen – sondern deinen eigenen Weg zu gehen. Mit offenen Augen, mit offenem Herzen. Ohne Urteil, aber mit dem Mut zur Ehrlichkeit. Nicht für andere. Sondern für dich selbst.

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