Verzeihen und Vergeben = Loslassen


Wenn wir das Wort „Vergeben“ hören, kann es sich manchmal überwältigend anfühlen, besonders wenn wir tief verletzt wurden. Vergeben heißt nicht, dass das Verhalten der anderen Person in Ordnung war – es bedeutet, dass wir uns entscheiden, uns selbst aus den Fesseln der Vergangenheit zu befreien. Vielleicht hilft es dir, wenn du das Wort durch „Loslassen“ ersetzt. Loslassen bedeutet, die Last der Vergangenheit abzulegen. Es heißt nicht, dass wir vergessen oder gutheißen, sondern dass wir uns entscheiden, den Schmerz nicht länger unser Leben bestimmen zu lassen.


Warum fühlen wir uns oft so machtlos, und warum ist Vergebung dennoch so wichtig?

Wenn wir an Groll, Wut und Zorn festhalten, spüren wir nicht nur den Schmerz der Verletzung, sondern auch eine tiefe Ohnmacht. Es ist, als hätten wir die Kontrolle über unsere Gefühle und unser eigenes Wohlbefinden verloren. Diese negativen Emotionen binden unzählige Energien in uns, rauben uns Kraft und binden uns wie unsichtbare Fesseln an das Vergangene.

Vergeben und Verzeihen ist ein kraftvoller innerer Prozess, mit dem wir diese Fesseln lösen können. Es geht darum, die Gefühle von Wut, Trauer oder Ohnmacht loszulassen, die uns so oft gefangen halten. Doch das ist leichter gesagt als getan: Wenn uns jemand verletzt, tragen wir die Emotionen oft lange mit uns herum – manchmal, ohne es zu merken. Die Person, die uns verletzt hat, erinnert sich vielleicht nicht einmal mehr an die Situation. Wenn es jemand aus unserer Kindheit war, ist ein klärendes Gespräch oft gar nicht mehr möglich.


Frieden in uns selbst finden

Es gibt jedoch die Möglichkeit, in uns selbst Frieden zu finden. Ein bekanntes Beispiel aus der Bibel zeigt uns, wie: Als Jesus sagt: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Diese Worte können uns inspirieren, uns zu fragen: Können wir das auch schaffen?

Wenn wir unseren Groll mit uns tragen, versuchen wir vielleicht unbewusst, dem Verursacher ein schlechtes Gewissen zu machen oder ihn mit Missachtung zu bestrafen. Wir zeigen mit dem Finger auf die andere Person und geben ihr die Schuld daran, dass es uns schlecht geht. Doch bedenken wir Jesu Worte: „Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein.“


Verantwortung übernehmen

Verzeihen und Vergeben ist kein einfacher Weg. Ich spreche aus eigener Erfahrung, denn ich bin ihn gegangen und werde ihn weiterhin gehen. Irgendwann habe ich erkannt, das die Verletzungen und der Groll oft ein Thema waren, das ich bereits in mir trug. Ich habe gelernt, mir zuerst selbst zu vergeben, loszulassen was lange in mir schlummerte. Worte und Handlungen anderer werden durch unseren eigenen inneren Filter interpretiert und dadurch oft verzerrt.

Als ich zum ersten Mal den Satz von John Kehoe hörte: „You are the cause of everything“ (auf Deutsch: „Du bist die Ursache von allem“), wurde ich zunächst wütend. Tausend Fragezeichen bildeten sich in meinem Kopf: Wieso sollte ich die Ursache dafür sein, dass mich jemand negativ behandelt?

Doch bald wandelte sich dieser Gedanke. Ich begriff, dass ich nicht beeinflussen kann, was jemand zu mir sagt. Ebenso wenig kann ich die Gedanken oder Motivationen dahinter ergründen. Aber ich habe die Macht, zu entscheiden, was ich aus den Worten oder Taten mache. Ich kann sie ein Leben lang mit mir herumschleppen und dadurch krank werden. Oder ich entscheide mich bewusst, sie nicht anzunehmen – oder nur so weit, wie sie mir dienlich sind.


Die Entscheidung liegt bei uns

Der Satz von John Kehoe machte mir klar, dass es meine Entscheidung ist, wie ich mit jeder Situation umgehe. Ich habe es in der Hand, wie ich handle, und wie lange ich den Groll mit mir trage oder ihn an der nächsten Ecke stehen lasse. Verzeihen und Vergeben ist keine Schwäche. Es bedeutet nicht, das Verhalten der anderen Person gutzuheißen. Menschen, die uns begegnen, sind wie sie sind – wir können sie nicht ändern, nur unsere Einstellung und unsere Reaktion. Nicht immer können wir solchen Menschen aus dem Weg gehen. Doch wenn wir uns selbst stärken und uns unserer selbst bewusst sind, können wir ihnen mit Ruhe und Klarheit begegnen.


Verletzungen und Erwartungen verstehen

Oft fühlen wir uns so tief verletzt, weil wir eigentlich Anerkennung und Liebe erwarten – besonders als Kinder von unseren Eltern. Doch auch sie tragen oft alte Verletzungen und Unsicherheiten in sich. Eine Mutter, die sagt: „Streng dich mehr an, sonst wird nichts aus dir“, möchte uns vielleicht gar nicht entwerten. Stattdessen versucht sie uns möglicherweise vor ihren eigenen schmerzhaften Erfahrungen als Kind oder Erwachsene zu bewahren. Diese Perspektive hilft uns, die Hintergründe solcher Aussagen besser zu verstehen und Mitgefühl für die inneren Kämpfe der anderen Person zu entwickeln.


Alte Überzeugungen loslassen

Manche Überzeugungen, die wir als Kinder oder in schmerzhaften Momenten übernommen haben, waren damals vielleicht hilfreich oder dienten als Schutzmechanismus, um zu „überleben“. Diese Überzeugungen sind wie Schubladen in unserem Gedächtnis, die wir fest verschlossen haben. Doch heute dienen sie uns oft nicht mehr, und dennoch nehmen wir diese Schubladen weiterhin wahr.

Vergeben bedeutet auch, diese alten Glaubenssätze zu hinterfragen und loszulassen. Es ist, als würden wir einen Frühjahrsputz machen: Wir misten diese Schubladen aus, befreien uns von unnötigem Ballast und schaffen Platz für neue, unterstützende Gedanken und Überzeugungen.


Die Kraft der Umformulierung

Wir haben die Fähigkeit, verletzende Aussagen nicht zu unseren Glaubenssätzen werden zu lassen. Falls wir sie jedoch bereits übernommen haben, können wir sie in kleinen, bewussten Schritten umformulieren. Dies muss nicht von heute auf morgen geschehen – oft braucht es Zeit, diese inneren Überzeugungen zu erkennen und schrittweise zu transformieren.

Ein Beispiel: Ein Satz wie „Du bist nicht gut genug“ kann uns tief prägen und unser Selbstbild lange negativ beeinflussen. Der erste Schritt ist, innezuhalten und diesen Satz zu hinterfragen: Ist das wirklich wahr? Im nächsten Schritt können wir den Satz mildern, etwa zu: „Es gibt Bereiche, in denen ich besser werden kann.“ Schließlich können wir ihn in einen ermutigenden Glaubenssatz verwandeln, wie: „Ich bin auf dem Weg, besser zu werden, und gebe mein Bestes.“

Indem wir in diesen Stufen vorgehen, schaffen wir Raum für Wachstum, Selbstvertrauen und Zuversicht, ohne uns von der Veränderung überfordert zu fühlen.


Die Macht über unsere Gefühle

Wir haben die Fähigkeit, unsere Gefühle und Emotionen wahrzunehmen und zu spüren, doch es liegt an uns, wie wir mit ihnen umgehen. Es ist wichtig, uns selbst zu erlauben, Schmerz, Wut oder Trauer zu fühlen – das ist ein Teil des Heilungsprozesses. Aber wir sollten darauf achten, diese Emotionen nicht zu pflegen, indem wir sie immer wieder aus der „Schublade“ holen und ihnen Raum geben, unser Leben zu dominieren. Wenn wir uns bewusst entscheiden, diese Gefühle loszulassen, gewinnen wir die Macht zurück, unser emotionales Gleichgewicht wiederzufinden.

Durch die bewusste Umformulierung von belastenden Gedanken oder Überzeugungen können wir uns Schritt für Schritt von alten Verletzungen befreien. Wir schaffen Raum für neue, stärkende Glaubenssätze, die uns helfen, unser Leben positiver zu gestalten und innerlich frei zu werden.


Die Macht über unsere Gefühle zurückgewinnen

Indem wir vergeben, geben wir dem Gegenüber keine Macht über unsere Gefühle und unser Wohlbefinden. Nehmen wir ein Beispiel: Nach einem Satz wie „Du machst immer alles falsch“ können wir uns klein und dumm fühlen. Oder wir entscheiden uns bewusst dagegen und sagen: „Nein, ich mache nicht alles falsch. Ich lerne.“

Verzeihen und Vergeben bedeutet, das „Päckchen“ der Negativität zurückzugeben – vielleicht sogar mit besten Grüßen. Alles, was uns emotional aufwühlt, bringt uns dazu, über uns selbst und unser Handeln nachzudenken. Mit der Zeit lernen wir uns und unsere Emotionen besser kennen. Wir erkennen unsere Muster – und manchmal auch die der anderen. Diese Selbsterkenntnis stärkt uns. Vergebung ist ein Prozess, der nicht nur unser Leben erleichtert, sondern uns auch inneren Frieden schenkt.


Ein persönliches Beispiel

Stell dir vor, du trägst einen schweren Rucksack voller Steine – jedes Mal, wenn wir Groll oder Schmerz festhalten, fügen wir einen weiteren Stein hinzu. Möchtest du diesen Rucksack weiter tragen, oder willst du ihn ablegen, um frei zu sein?

Das Titelbild von heute habe ich in einer solchen Situation gemalt, als mein „Rucksack“ so voll war, dass nichts mehr hineinpasste und ich unter der Last fast zusammengebrochen bin. In meinen Gedanken habe ich diese Steine in Luftballons verwandelt, die ich loslasse und die davonfliegen. Dieses Bild erinnert mich daran, dass ich die Wahl habe, die Last abzugeben und frei zu sein.


Eine weitere Übung, die helfen kann

Eine Möglichkeit, die mir sehr hilft, mit dem Prozess des Vergebens oder Loslassens zu beginnen, ist, all meine Gedanken und Gefühle in einem Brief aufzuschreiben – an die Person oder die Situation, die mich verletzt hat. Dieser Brief ist nur für mich. Ich verbrenne diesen Brief in einer feuerfesten Schale um diese negativen Gefühle endgültig loszulassen. Es geht darum, die Emotionen herauszulassen und Raum für Heilung zu schaffen. Vielleicht ist das auch für dich eine Möglichkeit.


Der erste Schritt

Vielleicht ist es für dich an der Zeit, den ersten Schritt zu tun. Fang heute damit an, deinen eigenen „Rucksack“ zu überprüfen und dich zu fragen, welche Steine du loslassen kannst. Du wirst überrascht sein, wie leicht sich dein Leben anfühlen kann, wenn du diese Last ablegst.


Ein Geschenk an uns selbst

Am Ende ist Verzeihen und Vergeben kein Geschenk an den anderen, sondern an uns selbst. Es ist der Schlüssel zu unserem eigenen Seelenfrieden


Wissenschaftliche Studien

Die Vergebungsforschung wurde unter anderem von Bischof Desmond Tutu initiiert.

  • Psychosoziales Wohlbefinden: Studien zeigen, dass Personen, die vergeben, ein verbessertes psychosoziales Wohlbefinden und eine stärkere soziale Integration erleben. Sie berichten seltener über psychische Belastungen wie Angstzustände oder Depressionen.
  • Physische Gesundheit: Vergebung steht in positivem Zusammenhang mit physischer Gesundheit, wie beispielsweise niedrigerem Blutdruck. Weniger Vergebung wird mit einer erhöhten Herzrate in Verbindung gebracht.
  • Stressreduktion: Vergebung führt nachweislich zur Stressreduktion und einem verbesserten körperlichen Wohlbefinden. In Studien konnte ein niedrigerer Blutdruck und die Verringerung des Stresshormons Cortisol festgestellt

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